Sektion "Mittelalter und Frühe Neuzeit"

Thematischer Schwerpunkt und Forschungsprofil

Der Untersuchungsraum der Sektion „Mittelalter und Frühe Neuzeit“ ist bewusst breit gewählt und umfasst sowohl das ‚klassische‘ Mittelalter und die Frühe Neuzeit als auch die entsprechenden Übergangszeiten. Generell verfolgen wir dabei drei Leitideen:

1. Europäischer Kulturraum: Als etablierte interdisziplinäre Forschungsfelder innerhalb der Geisteswissenschaften führen die Mediävistik und die Frühe-Neuzeit-Forschung eine Vielzahl von Disziplinen und Bereichen zusammen, um die europäische Kultur in ihren vielfältigen Ausprägungen zu erforschen. Der Zeitraum ist prägend für die Entwicklung des modernen Europas und entscheidender Grundstein der abendländischen Zivilisation. Gedanken, Werte und kulturelle Impulse aus der griechisch-römischen Antike und den Nachbarkulturen wurde hier übernommen, tradiert und entscheidend weiterentwickelt. Ohne ‚Europa‘ idealisieren zu wollen, so entwickelte sich dennoch ein vergleichsweise kohärenter Raum gemeinsamer Werte und kultureller Kommunikation, geprägt von fruchtbaren Begegnungen zwischen Menschen und Kulturen und einer Neugier auf alles Neue. Seine systematische Erforschung bedeutet die Untersuchung der vielfältigen Formen der Kommunikation und kulturellen Interaktion in den Bereichen des philosophisch-wissenschaftlichen Diskurses (an Universitäten und Schulen), der Politik, des sozialen und wirtschaftlichen Lebens, der Religion und nicht zuletzt der Kunst.

2. Interdisziplinäre und diachrone Vernetzung: Die mittelalterliche und frühneuzeitliche Kultur unterliegt nicht denselben Grenzen oder Dichotomien, die moderne Nationalstaaten oder wissenschaftliche Disziplinen bestimmen. Texte überschreiten die vermeintliche Grenze zwischen Latein und Volkssprache, und verwischen die vermeintliche Differenz zwischen klerikaler und weltlicher Sphäre. Ein mittelalterlicher Codex wie der berühmte ‚Codex Manesse‘ überliefert, auch wenn er keine einzige Note enthält, Texte mittelalterlicher Lieder, Informationen über die Aufführung von Musik (durch die Darstellung von Aufführungen und Musikinstrumenten) und hält in den Bildern die Körper der Ausführenden fest. ‚Geschichte‘ war in Mittelalter und Früher Neuzeit auch eine Geschichte – wahrscheinlich die damals am häufigsten erzählte. Dementsprechend ist die Narrativität, die Erforschung der Kunst und der Formen des Erzählens, ein verbindendes Element für die interdisziplinäre mediävistische und frühneuzeitliche Forschung – dies betrifft auch weniger textgebundene Fächer wie Musikwissenschaft und Kunstgeschichte. Wir setzen uns zum Ziel, eine gemeinsame Forschungsplattform für diese breite interdisziplinäre Forschung zu schaffen. Die Verbindung von mediävistischen und frühneuzeitlichen Fragestellungen soll dabei bewusst die diachrone Forschungsperspektive ermöglichen.

3. Materielle Kultur: Jede*r Wissenschaftler*in, der zu Mittelalter oder Früher Neuzeit forscht, muss sich mit dem Problem der materiellen Überlieferung auseinandersetzen. Zwei große Paradigmenwechsel zeichnen den Untersuchungszeitraum dabei aus: Der Wechsel von Mündlichkeit zu Schriftlichkeit, und der Wechsel von einer Handschriftenkultur zu einer Druckkultur. Gerade für die Volkssprachen war die vorherrschende Form der Überlieferung über lange Zeit wahrscheinlich mündlich und ist daher für uns verloren, aber parallel zur Mündlichkeit war die textliche Überlieferung immer präsent. Während dies für alle Volkssprachen und beispielsweise für die Musik gilt, sind Latein und die kirchliche Kultur zumeist durch das geschriebene Wort überliefert worden. Auch nach der Einführung des Buchdrucks bricht die Produktion von Handschriften in der Frühen Neuzeit nicht vollständig ab.

Heutige Wissenschaftler*innen können oftmals mit modernen Editionen arbeiten, und viel Zeit und Mühe wurde in die Inventarisierung der vorhandenen schriftlichen Quellen gesteckt. Trotzdem ist es überraschend (und bedauerlich), wie viele Informationen dabei verloren gehen und wie viele wertvolle Informationen durch die Autopsie der handschriftlichen Zeugnisse und den Rückgriff auf die Quellen noch gewonnen werden können.

Die materiellen Träger der Überlieferung von Texten sind für alle beteiligten Disziplinen ein gemeinsames Thema –Mediävistik wie Frühe-Neuzeit-Forschung arbeiten schließlich mit dem weitestmöglichen Begriff von ‚Text‘, den es gibt (und es überrascht nicht, dass Julia Kristeva erstmals anhand eines spätmittelalterlichen Beispiels über Intertextualität argumentierte). Dasselbe gilt aber auch für alle anderen materiellen Ausdrucksformen jenseits der Schrift wie Artefakte, Architektur, dekorative Programme, Bilder, Skulpturen, deren Untersuchung neben der Buchgeschichte und Paläographie zum Handwerkszeug von Mediävistik und Frühe-Neuzeit-Forschung gehören.

Unser Angebot

Die Sektion „Mittelalter und Frühe Neuzeit“ bietet ihren Doktorand*innen eine Plattform, ihre Forschung zu Fragen des mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Europas in einem interdisziplinären Rahmen zu verfolgen. Es ist der ideale Ort, um die fachwissenschaftliche Perspektive durch den Blick auf andere Aspekte der mittelalterlichen Kultur und Mediävistik zu erweitern. Die konzeptionelle Konzentration auf die Grundtechniken der europäischen Kultur verdeutlicht die gemeinsamen Interessen und unterstreicht die Bedeutung der materialgeschichtlichen und hermeneutischen Verankerung, wird aber auch die spezifischen Beiträge der einzelnen Disziplinen und deren jeweilige Bedürfnisse und Diskurse berücksichtigen. Die Sektion soll zum Ort der Diskussion aktueller Forschung und Fragestellungen werden: Sie wird ihren Teilnehmer*innen den Raum bieten, über gemeinsame Methoden und kategoriale Voraussetzungen – wie etwa auch eines mittelalterlichen und frühzeitlichen ‚Europas‘ – zu reflektieren und weitere Fähigkeiten und Techniken zu erwerben. Viele Nachwuchswissenschaftler*innen (und nicht nur diese) müssen sich heute oft mühsam das Wissen aneignen, das jenseits der Grenzen ihrer Heimatdisziplin liegt, das aber für die Erforschung ihres Untersuchungsgegenstandes grundlegend ist. Die Sektion wird das Umfeld und die finanzielle Unterstützung bieten, um den produktiven Austausch mit Expert*innen auf den entsprechenden Gebieten zu eröffnen.

Sektionsleitung

Univ.-Prof. Dr. Matthias Meyer, M.A., Leiter

Ass.-Prof. Dr. Katja Weidner, M.A., stv. Leiterin

Betreuer*innen

Univ.-Prof. Dr. Judith Frömmer

ao. Univ.-Prof. Mag. Dr. Elisabeth Klecker

Ass.-Prof. Dr. Rabea Sarah Kohnen

Univ.-Prof. Dr. Birgit Lodes

Univ.-Prof. Dr. Matthias Meyer, M.A.

Univ.-Prof. Dr. Stephan Müller

Univ.-Prof. Dr. Robert Nedoma

Univ.-Prof. Mag. Dr. Nikolaus Ritt

Ass.-Prof. Dr. Katja Weidner, M.A.

Univ.-Prof. Dr. Hartmut Wulfram